Mitglied werden 

Rede zum 1. Mai 2023 - Sexarbeit statt Stigma

04.05.2023

Disclaimer: Diese Rede wurde in ähnlicher Form am 1. Mai 2023 in Magdeburg gehalten. Da die Rede vorher aus Stichpunkten bestand, wurde sie hier in Textform geschrieben. Deswegen können einige Formulierungen von der geprochenen Form abweichen, die inhaltlichen Positionen sind aber die gleichen. In dieser Form sollte die Rede zum Ausdruck kommen. 

An dieser Stelle distanzieren wir uns ausdrücklich von jeglicher Form von (Zwangs-)Prostitution, Zuhälterei, Gewalt und anderen zwangsvollen / gewaltvollen sexuellen Handlungen! Ebenso geht damit einher, dass wir kein "Recht auf Sex" oder Ähnliches vertreten, wie in manchen Medien behauptet wurde. Sex bzw. sexuelle Handlungen jeglicher Form müssen - auch gegen Entgelt - immer auf Konsens beruhen! 

Sexarbeit in der von uns vertretenen Position betrifft bei weitem nicht das gesamte Feld von Sexualität, die gegen Geld erbracht wird. Trotzdem glauben wir, dass der geringe Teil der Menschen, die sexuelle Dienstleistung als einvernehmliche und entgeltliche Handlung anbieten, rechtlich gestärkt werden muss. Somit soll ein (regulierter) Kontrast zu (Zwangs-)Prostitution und sexueller Sklaverei entstehen.

Zudem räumen wir an dieser Stelle ein, dass wir keinen Alleinstellungsanspruch für das Thema hegen. Wir befürworten eine diverse Meinungskultur und konstruktive Kritik, weil wir so lernen und unser Vorgehen verbessern können. Der unten stehendeText soll daher ein Verbesserungsversuch in Bezug auf die aktuelle Situation sein. Des Weiteren werden wir verstärkter den Austausch mit anderen Personen, Gruppen und Institutionen suchen, um uns ständig weiterzubilden. 

Die untengenannten Stichpunkte wurden nicht vorgelesen. Aussagen in eckigen Klammern waren ursprünglich nicht Teil der Rede.

 

SEXARBEIT – SELBSTBESTIMMUNG STATT STIGMA

 

Der LSVD Sachsen-Anhalt e.V. versteht sich als Bürgerrechtsverband und vertritt die Interessen und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTIQ*). Menschenrechte, Vielfalt und Respekt – wir wollen, dass LSBTIQ* als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität akzeptiert und anerkannt werden.
1.jpg

Auf Grundlage des Beschlusses des Bundesverbandstages am 12.03.2023 beziehen wir zum Thema Sexarbeit Stellung. Unter Sexarbeit verstehen wir sämtliche Arbeiten in der Sexindustrie, die unter konsensuellen sexuellen oder sexualisierten Dienstleistungen zwischen volljährigen Geschäftspartner*innen gegen Entgelt oder andere materielle Güter zusammengefasst werden. Mit Sexarbeit meinen wir ausdrücklich keine Prostitution. In der Sexarbeit soll es – im Gegensatz zur Prostitution – keine Abhängigkeiten, keine Zuhälterei und keinen Zwang geben, sexuelle Handlungen ausführen zu müssen. Unter Sexarbeit verstehen wir also eine einvernehmliche sexuelle Dienstleistung zwischen volljährigen Menschen gegen Entgelt, die auf Freiwilligkeit und Respekt basiert. Darunter zählen beispielsweise die Darstellung in Pornofilmen, der Lapdance / erotische Tanz, Massagen mit sexuellem Bezug, Escort-/ Straßen- und Bordellarbeit. Sexarbeit kann auch via Telefon, Video und online stattfinden.

 

Warum sollten wir über Sexarbeit reden?

Sexarbeit ist ein Bestandteil unserer Gesellschaft [, der in allen seinen Erscheinungsformen - auch in seinen schlechten - etabliert ist.] Sie taucht in vielen gesellschaftlichen Bereichen, allen Klassen, Schichten und Geschlechtern auf. Sex ist ein Grundbedürfnis und ein nicht wegzudenkender Teil des Menschen. Somit ist auch der Wunsch nach Sex und das Begehren natürlich. [Dieser kann jedoch ein Einfallstor für Missbrauch sein.]

Das diverse Angebot der Sexarbeit zeigt, dass es ein breites Feld ist: So gibt es manche Formen, die sich auf das Zuhören, Kuscheln und den Austausch intimer Handlungen fokussieren. Für Menschen mit Behinderung kann es schwer sein, Partner*innen zu finden, sodass sie auf das Angebot angewiesen sind. Zudem erfährt der Online-Sektor einen starken Zuwachs durch kommerzielle Dienstanbieter.

Das breite Feld an Angeboten zeigt, dass es ungerechtfertigt ist, Sexarbeiter*innen zu stigmatisieren und abzuwerten. Vielmehr braucht es eine Trennung von Weiblichkeit und Keuschheit sowie eine Trennung von Emotionalität und Sex. Insbesondere darf es keinen „Alleinstellungsanspruch“ von Sex in der Beziehung geben. Zusammenfassend geht es also um die Frage, wer den Zugang zu Sex hat und wer nicht.

 

Warum brauchen wir Regularien? 

Sexarbeiter*innen werden in der Öffentlichkeit strukturell diskriminiert und abgewertet. Sie haben eine schlechtere medizinische Versorgung, sind von Gewalt sowie negativen Erfahrungen betroffen, die an dieser Stelle nicht schöngeredet werden sollen. Insbesondere queere Menschen erfahren durch die Gesellschaft Ausgrenzung und Gewalt, obwohl sie auch häufig begehrt werden. Dies betrifft v.a. trans Personen und junge männliche Menschen, [weil ihnen mitunter Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsmarkt verwehrt werden und sie deswegen in die (Zwangs-)Prostitution gedrängt werden.]

Sexarbeiter*innen wird es auch in Zukunft geben, mit Verboten oder ohne. Daher brauchen wir eine Stärkung der Sexarbeit, um Prostitution und den illegalen Verkauf von Sexhandlungen bzw. von Menschen zu schwächen.

Durch das Angebot einer Care-Leistung sind Sexarbeiter*innen von der liberalen Marktwirtschaft ebenso betroffen, wie in anderen Sorgeberufen. Das bedeutet, dass sie ständigem Lohndruck ausgesetzt sind, weil die Leistung nicht im gleichen Maße rationalisierbar ist wie eine Güterproduktion. Sexarbeiter*innen hat es daher in der Corona-Krise und während der Inflation ebenso hart getroffen. Weiterhin wird der Online-Markt rapide zunehmen bzw. ist in Begriff dessen.

Sexarbeit soll in erster Linie Arbeit bzw. ein Beruf sein. Es ist ein offizielles Kleingewerbe, das Steuern und Krankenkassenbeiträge zahlen muss. Wir sind der Meinung, dass Sexarbeiter*innen ihrem Beruf mit Stolz und Respekt nachgehen können sollen. Weil Sexarbeiter*innen in einem sehr heterogenen Feld beschäftigt sind, haben sie es nicht verdient, abgewertet zu werden. Wir befürworten bessere Arbeitsbedingungen, faire Löhne, eine eigene Lobby, die Aufnahme in die Gewerkschaften und die Herstellung von sicheren Arbeitsorten. Um auch queere Menschen besser zu schützen, pochen wir auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und den Abbau von Vorurteilen.

 

In Anlehnung an den Beschluss der Mitgliedschaft des LSVD-Bundesverbandes befürworten wir:

  • die Anerkennung von Sexarbeit als vorurteilsfreie heterogene Dienstleistung
  • die vollständige Entkriminalisierung und Abschaffung von Sondergesetzen
  • ein Ende staatlicher/nichtstaatlicher Überwachung, wie es im Prostituiertenschutzgesetz geregelt ist
  • eine Verbesserung des gesetzlichen Schutzes vor Diskriminierung
  • den Miteinbezug von Sexarbeiter*innen in Gremien, Policies und der Gesetzgebung
  • die Berücksichtigung der Bedarfe und Lebensrealitäten von Sexarbeiter*innen durch die Zivilgesellschaft
  • eine Sensibilisierung, Fortbildung und Antidiskriminierungsarbeit zu Sexarbeitsfeindlichkeit in allen relevanten Behörden und Ämtern
  • den Einbezug von Berufsverbänden und Selbstorganisationen
  • die Aufklärung von Fachkräften für Bedürfnisse queerer Sexarbeiter*innen
  • die Sensibilisierung bestehender Angebote für Sexarbeiter*innen für queere Themen und einen Abbau der Stigmatisierungen
  • eine nachhaltige finanzielle Absicherung bedarfsgerechter Beratungs- und Unterstützungsangebote
  • eine entstigmatisierende Informations- und Beratungspraxis
  • eine Finanzierung und strukturelle Absicherung ausreichender Schutzunterkünfte für Betroffene von Gewalt, die auch den Schutz männlicher, trans, inter und nichtbinärer Sexarbeiter*innen gewährleistet

Durch die Umsetzung dieser Forderungen hoffen wir, eine Gesellschaft zu schaffen, welche die Realität annimmt und nicht verdrängt. Es geht uns um Respekt, sichere Arbeitsbedingungen und die Sicherstellung von Leben, um so die Gesamtsituation für alle verbessern zu können.

 

Siehe auch: https://www.lsvd.de/de/ct/8830-beschluss-sexarbeit-selbstbestimmung-statt-stigma